Speakers-Corner: Don E. Schultz rüttelt an Marketing-Grundfesten
Don E. Schultz: Für drei Tage ist der Pionier der Integrierten Marketingkommunikation zu Gast am Institut für Kommunikation, Marketing & Sales an der FHWien. Am Donnerstag, den 12. April 2012 präsentierte er bei der Speakers-Corner vor rund 120 Zuhörern Einblicke abseits des Mainstreams und rüttelte mit seinen Thesen kräftig an einigen Marketing-Grundfesten. Sein Grundtenor: Kontrollverlust zulassen und neues Selbstverständnis entwickeln.
„Damn you technology, you’re making it difficult.“

Durch die explosive Verbreitung interaktiver Technologien, so Schultz‘ These, würden sich die Machtverhältnisse in der Kundenbeziehung radikal verschieben. Niemals zuvor standen Kunden so viele Informationen so rasch zur Verfügung. Innerhalb kürzester Zeit könnte man sich im Supermarkt etwa via Smartphone darüber informieren, ob das Produkt, das man kaufen möchte, nicht vielleicht im Geschäft nebenan doch billiger ist.
„You folks out there control the market place, and we as marketingpeople don’t like that“, konstatierte Schultz. Wir befänden uns in einem Push-Pull-Markt, in dem die Verkäufer die Kontrolle über den Markt verloren hätten. Die Methoden und Konzepte, die im Marketing seit Jahrzehnten entwickelt und gelehrt werden, seien zu lange nicht mehr in Frage gestellt worden. Kunden würden sich den klassischen Werbekanälen wie etwa Fernsehwerbung entziehen, ab- und wegschalten, Ad-Blocker im Browser installieren. Trotzdem würden Marketer weiter versuchen, mit den gleichen, alten Strategien auf den gleichen, alten Kanälen Kunden zu überzeugen.
„A radically different world needs radically different concepts“
Mit social media sei die gute alte Mundpropaganda zu mächtigen, globalen Netzwerken transformiert. Doch Marketer wissen kaum damit umzugehen – sie würden social media genauso nutzen wie andere Medien. Nun sind Sie aber mit Netzwerken konfrontiert, die von Nutzern selbst geschaffen wurden, und diese würden immer öfter abwehrend auf jegliche Marketing-Avancen reagieren: „Go away, leave us alone“. Die radikalen Veränderungen des Markts würden radikale Änderungen auf der Seite des Marketings erfordern – vor allem im Selbstverständnis und Wissen um die eigenen Aufgaben und Verantwortungen.
„They’re taught to talk, not to listen.“
In unserer westlichen Kultur hätten wir im Gegensatz, etwa zu China, keinerlei Erfahrung mit Verhandlung und Beziehungsarbeit, so Schultz. Aber genau DAS wären nun essentielle Skills, die Verkäufer nun brauchen würden; Er sieht einen deutlichen Umschwung „from persuasion to negotiation“. Früher wäre der Verkäufer zum Kunden gekommen mit der Haltung „Let me tell about my product“, doch heute würden Kunden darauf nicht mehr reagieren. Sie würden meist mehr wissen als die Verkäufer, dieses Wissen demonstrieren wollen und eigene Forderungen stellen: „Let me tell you, what I need“. Die Sales Force wäre für diese neue Art von Beziehung aber nicht trainiert, denn „they’re taught to talk, not to listen“.
„Reciprocitiy and shared value will drive tomorrow’s marketplace“
Wechselseitige Beziehungen und geteilte Werte sieht Schultz als die Kernfaktoren, die die neuen Märkte strukturieren. Die Sales Force dürfe sich nicht mehr als reiner Verkäufer, sondern als Agent in Verhandlungen und in Beziehungen mit Kunden begreifen. Sie wäre also nicht etwa auf einmal irrelevant, müsste aber möglichst rasch ein neues Selbstverständnis entwickeln. Dass das Ziel von Marketing damit aber nicht mehr der finanzielle Gewinn, sondern vielmehr eine nachhaltige, wechselseitige Beziehung wäre, müsse erst langsam begriffen werden.
Das habe letztendlich auch massive Auswirkungen auf die Ausbildung von Marketingexperten und auf die Forschung in diesem Bereich. „We live in a world where the academic community is behind, when it should be leading“, so Schultz. Ein Paradigmenwechsel in der Forschung wäre überfällig und gerade qualitativen Verfahren, die neue Perspektiven auf Beziehungen und Erfahrungen werfen könnten, würden hierbei eine wichtige Rolle spielen. Denn schließlich seien jene Unternehmen, die Erfahrungen kreieren, statt lediglich Produkte anzubieten, am Ende die erfolgreichsten. Als Beispiel nennt Schultz Apple. „People come back for experiences and not to be with a marketing person“.
Auf die Keynote folgte eine spannende Diskussion mit begeisterten und auch kritischen Studierenden, Lektoren und Praktikern. Schultz bereicherte die Diskussion mit zahlreichen Anekdoten. Für unsere Masterstudierenden ging es danach direkt weiter in eine Abendvorlesung mit dem Pionier der Integrierten Marketingkommunikation. Zwei weitere Tage weht internationaler akademischer Wind durch die FHWien – und damit auch ein „wind of change“.
Text: Maria Schreiber; Fotos: Sanem Keser-Halper, Iris Lasser
