Guns N´Roses kommen im Herbst nach Wien – für viele ein Anlass Wien zur Paradise City zu erklären. Warum, ist nicht einfach zu beantworten. Diese Band hat schließlich mit dem Phänomen der späten 80er und frühen 90er Jahren nichts mehr zu tun. Lediglich Axl Rose ist aus der Originalformation mit dabei und der klingt mittlerweile – warum auch immer – wie ein Sänger, der wie Axl Rose klingen möchte… Er macht dies jedoch zumindest so gut, dass er ausreichend Fans an der Stange hält, die sich mit der Band und ihrer aktuellen Musik identifizieren können, um ausgedehnte Touren rund um den Globus bestreiten zu können – zum Überleben wird´s reichen.
Aus kommunikationsstrategischer Sicht viel interessanter erscheint Slash, der ehemalige Gitarren-Pudel von Guns N´Roses. Er kommt ebenso nach Österreich (Nova Rock 11.6.2010) mit einer neuen Platte im Gepäck. Auch er vertraut klar dem Konzept, das ihn einst groß machte: schnörkelloser, etwas schlampiger Hardrock mit Blueseinflüssen. Slash hat sich allein durch sein Auftreten zum Inbegriff des Rock ´n´ Roll-Gitarrero stilisiert: Pudel-Frisur, Zylinder, Zigarette und Jack Daniels. An der Gitarre selbst war er nie ein Virtuose, doch würgt er einen einzigartigen und eigenständigen Ton aus seiner Gibson, der zu seiner Trademark wurde und im Gegensatz zur Axl Rose, hat er ihn immer noch drauf – wie vor 20 Jahren.
Markentechnik: Geld statt Kunst
Nicht zu viel Neues wagen, um die eingeschworene Fangemeinschaft nicht zu verstören; dieses Konzept lässt sich bei vielen Marken beobachten. Markenexperte Klaus Brandmeyer merkt an: „Man wird zum Sklaven seiner Marke.“ Coca Cola änderte seine Rezeptur seit Jahrzehnten nicht (Vanilla Coke ging gründlich in die Hose), ebenso schmeckt die Sachertorte seit immer schon so, wie sie heute schmeckt. Markentechnik ist also der Versuch eine schöpferische Leistung durch Beschränkung der Bewegungsspielräume so zu stabilisieren, dass die Zufälle im daily business limitiert werden und ein möglichst hoher Grand an Wiedererkennung, Identifikation und Differenzierung erreicht wird.
Dieses Phänomen wirkt bei Künstlern geradezu paradox, ist jedoch vielfach zu beobachten, siehe Roy Lichtenstein, Marc Chagall, AC/DC usw. Sie alle reduzier(t)en die Variationen ihrer künstlerischen Ergüsse auf ein Minimum und werden damit sofort erkennbar. Wer will schon einen Chagall im Wohnzimmer hängen haben, von dem niemand weiß, dass es ein Chagall ist? Möglich wurde diese Entwicklung dadurch, dass Erfolg nicht über künstlerische Weiterentwicklung, sondern rein über die wirtschaftliche Dimension definiert wird.
Relevanz bei neuen Zielgruppen
Aus dieser Sicht macht Slash seine Sache sehr gut. Dazu kommt, dass er aus Ermangelung einer Band (siehe oben), aus der Not eine Tugend machte und zahlreiche Gastsänger einlud, die jeweils einen Song mit ihm einspielten. Dadurch wildert er nun nicht nur in seiner ureigensten Fangemeinde, sondern spricht auch die Fans von Fergie (The Black Eyed Peas), Nicole Scherzinger (Pussycat Dolls), Dave Grohl (Foo Fighters), Kid Rock, Iggy Pop, Ozzy Osbourne und vielen anderen an. Systemtheoretisch gesprochen lädt er über diesen Kunstgriff seine Musik mit Sinn für zahlreiche, ansonsten unerreichbare Fangruppen auf. Er bekommt dadurch zumindest die Chance auf einen Funken Relevanz und damit Aufmerksamkeit und Zuwendung – eine Taktik, die bereits zuhauf gut funktioniert hat. Bestes Beispiel: Carlos Santana weitete seine Fangemeinde mit dem Album „Supernatural“ enorm aus und die Popularität des Woodstock-Veteranen erlebt seither einen zweiten Frühling.
Be my friend: Kontakt mit den Communities
Im Zeitalter der Social Communities sticht ein weiteres Phänomen hervor, dass sich zumindest bislang lediglich beobachten, aber nicht schlüssig deuten lässt: Der intensive Kontakt zur und extensive Austausch mit der Fangemeinde. Was einen krassen Gegensatz zum Habitus früherer Stargenerationen darstellt.
In den 80er/90er Jahren, kam es schon vor, dass die damaligen Megastars Michael Jackson, Prince oder Madonna jahrelang kein öffentliches Statement zu ihrer Musik oder zu anderen Themen abgaben. Sie signalisierten damit, „über den Dingen“ zu stehen und differenzierten sich – gottgleich – durch ihre Entrücktheit und Unnahbarkeit von ihren Fans, was die Gerüchteküche permanent am köcheln hielt („Schläft Michael Jackson in einem Sauerstoffzelt?“ „Schläft Prince täglich mit 5 Frauen?“ „Schläft Madonna täglich mit 5 Männern?“ „Schlafen Prince und Madonna gar täglich 5 mal miteinander?“ „Darf Michael Jackson manchmal mitmachen?“ „Treffen sie sich dann unterm Sauerstoffzelt?“ usw.)
Offener Dialog vs. Entrücktheit
Heute würzen Stars ihre eigenen Gerüchte aktiv und kräftig mit, indem sie ihre Updates auf Plattformen wie Twitter und Facebook posten. Ashton Kutcher hat aktuell 3,5 Mio friends auf Facebook und 5 Mio followers auf Twitter; in Summe wahrscheinlich mehr Leute, als seine Filme sehen… Mit ihm hat sich Demi Moode gleich den privaten Paparazzi in Haus geheiratet. Von dieser Aufhebung des Machtgefälles scheinen Stars derzeit also zu profitieren, welche Auswirkungen diese Strategie auf lange Sicht hat, ist bislang noch nicht abzuschätzen.
Ich kann mir vorstellen, dass die Differenzierung künftig über eine dominierende Sachdimension und weniger über die Sozialdimension geschehen kann. Was in Folge den Künstler als Marke wieder etwas in den Hintergrund drängen und den Fokus auf die Kunst an sich legen würde. Mal sehen, wie sich das entwickelt.
Jedenfalls prägt Slash diese Entwicklung aktiv mit: rund 2 Mio Facebook-friends lesen mehrmals täglich seine launigen Status-Updates. Auf seiner Website ist er im permanenten Dialog mit seinen Fans und beantwortet ihre Fragen. Sie haben so strategisch gesteuerten Einblick in das Leben ihres Idols und sind – zumindest scheinbar – permanent backstage mit dabei.
Ganz anders – und nahezu anachronistisch – positioniert sich Axl Rose mit seinen Guns N´Roses, der auf Facebook selbst nicht aktiv ist. Die letzte Newsmeldung auf der offiziellen Website ist 18 Monate alt.